Montag, 19. November 2012

Mein Arbeitsplatz: Sechs Euro die Woche

Magazin Mitbestimmung, Ausgabe 10/2012
Ahmed Basam in der Schreinerei in Gezira El Bairat, Luxor
Ahmed Basam in der Schreinerei (Foto: Gesa von Leesen)

Ahmed Basam, 20, arbeitet in der "Tischlerei von Mohammed" am Westufer des Nils gegenüber von Luxor. Er ist neun Jahre zur Schule gegangen, was in Oberägypten nicht unbedingt der Regel entspricht.
Luxor, Gezirat El Bairat "Ich arbeite jetzt seit einem Jahr hier in der Schreinerei. Vorher habe ich Gemüse und Obst auf dem Markt verkauft. Berufe, in denen man sich die Hände schmutzig macht, sind unter jungen Männern nicht besonders gut angesehen. Viele suchen ihr Glück im Tourismus, der aber seit der Revolution stark zurückgegangen ist. Mir macht diese Arbeit Spaß, weil ich kreativ sein kann. Ich lerne jeden Tag dazu. Große Sachen kann ich noch nicht machen, aber ich kann sägen - mit der Handsäge und an der Maschine. Ich kann auch schleifen, per Hand und elektrisch. Wir bauen Möbel, aber auch Türen und Fenster für neue Häuser. Hier auf der Westbank wird gerade viel gebaut. Zurzeit haben wir einen Auftrag für ein neues Hotel: Fenster und Türen im arabischen Stil.

Zu meinen Aufgaben gehört es, die Werkstatt morgens aufzuschließen, außerdem mache ich sauber. Dann warten meine Kollegen und ich auf den Chef, damit er uns sagt, was wir machen sollen. Wir sind hier zu viert, ein Kollege ist älter als ich, 23, die beiden anderen sind jünger, 17 und 18. Wir kommen gut miteinander aus. Zwei von uns sind Muslime, zwei sind Kopten. Das ist ganz normal. Auch mein Chef ist freundlich zu allen. Wir arbeiten ungefähr von 8.30 Uhr bis 20 Uhr - je nachdem, wie viel Arbeit anfällt. Ich stehe gerne an der Säge. Holz schleppen mag ich nicht, das ist schwer. Und ich fühle mich nicht gut, wenn ich etwas machen soll, was ich noch nicht kann. Dann muss ich fragen.

Zur Arbeit komme ich mit dem Minibus aus einem Nachbardorf, At Tarif, das dauert 15 Minuten. Dort wohne ich bei meinen Eltern, zusammen mit meinen drei Brüdern und zwei Schwestern. Meinen Lohn gebe ich komplett zu Hause ab, denn meine Brüder verdienen weniger als ich. Einer lernt, einer ist beim Militär und einer arbeitet bei Bauern auf dem Feld. In der Woche verdiene ich 50 Pfund, etwa 6 Euro. Das ist in Ordnung, denn ich kann ja noch nicht so viel. Ich bin froh, dass ich hier einen Beruf lerne. Mein Traum ist es, mal alle Möbel bauen zu können, die man in der Wohnung braucht, also Stühle, Tische, Schränke, Betten. Wenn ich so weit bin, will ich meine eigene Werkstatt aufmachen."


Textdokumentation: Gesa von Leesen

»Heute fühle ich mich wie eine 68erin«

Über 60 und noch in Protestlaune - eine neue Generation von »Rentner-Rebellen« übernimmt die Straße.
Neues Deutschland 24.10.2012
Von Gesa von Leesen

In der Werbung nennt man sie gerne »Best Ager«. Gemeint sind die Alten, die Zeit und Geld haben, also eine lohnende Zielgruppe für Reklame sind. Doch zunehmend geht es dieser Gruppe nicht nur ums Reisen oder um standesgemäße Autos. Viel mehr sieht man sie verstärkt auf Demonstrationen. Silberhaarig und fit gehen sie auf die Straße und protestieren gegen Atomtransporte in Niedersachsen, Fluglärm, den Stuttgarter Tiefbahnhof.

Montag, 17.25 Uhr auf dem S-Bahnsteig in Oberesslingen. Fünf Minuten bevor die Bahn nach Stuttgart abfährt, stiefeln fünf ältere Herrschaften die Treppe hinauf. Alle tragen Sticker gegen Stuttgart 21 an den Anoraks. Hanna Maier-Gschwind mit Gatte Helmut Maier, das Ehepaar Brunhilde und Otto Werner und Hellfried Sandig sind zwischen 63 und 80 Jahre alt. Wenn irgend möglich, treffen sie sich jeden Montag, um gemeinsam zur Montagsdemo gegen S21 zu fahren.

Die beiden Ehepaare wohnen in Aichwald, einem wenige Kilometer entfernten Dorf, Sandig kommt aus Esslingen. Bis Stuttgart benötigt die S-Bahn 20 Minuten. Auch wenn die fünf also gar nicht direkt von dem Milliardenprojekt betroffen sind - den geplanten Tiefbahnhof halten alle für mehr als unsinnig. Überflüssig, zu teuer und gefährlich finden sie ihn. Außerdem zeige sich an dem Projekt, »wie die Politik die Menschen belügt, um ihre Ziele durchzubringen«, so Hanna Maier-Gschwind, mit 63 die Jüngste der Truppe. »Ich habe mich schon immer für eine gerechte Weltordnung eingesetzt und bei Stuttgart 21 sehe ich die Demokratie in Gefahr«, erklärt die pensionierte Lehrerin. »Beim Kosovo-Krieg bin ich aus der SPD ausgetreten. Mein Mann hat die Partei dann im vorigen Jahr verlassen, weil die SPD für Stuttgart 21 ist.«

Inzwischen ist die S-Bahn auf dem Weg gen Stuttgart und die fünf berichten, warum sie die Mühe auf sich nehmen, jede Woche zu demonstrieren. Haben sie denn keinen Garten, keine Enkel? Brunhilde Werner (72) lacht. »Doch, die besuchen wir auch. Meine Tochter wohnt in Zürich. Wenn ich da hinfahre, bin ich immer ganz begeistert von dem tollen Kopfbahnhof.« Und der frühere Lichttechniker Helfried Sandig (73) erzählt: »Meine Kinder wohnen in Hamburg und Berlin. Die stehen auch kritisch zur Bahn und unterstützen mich in meinem Protest.«

Otto Werner (80) findet es richtig, sich im Alter zu engagieren. »Wir haben doch Zeit, sind unabhängiger als früher mit Arbeit und Kindern. Ich sehe das so: Wir demonstrieren stellvertretend für diejenigen, die auch gegen Stuttgart 21 sind, aber keine Zeit haben.«

Rainer Böhme von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen meint, dass sich derzeit eine neue Generation von »Rentner-Rebellen« entwickele. »In diesen Jahren geht eine Generation in Rente, die sich nicht in Schrebergärten und Seniorenheime zurückzieht«, sagt der Co-Autor des Buches »Die Altersrevolution« in einem Interview. Heutige Rentner wollten selbstbestimmt leben, seien selbstbewusst und ließen sich von staatlichen Autoritäten nicht beeindrucken.

Die jetzigen »Rentner-Rebellen« sind keine Protestneulinge. Sie knüpfen an frühere Aktivitäten an, wurden in den 60er und 80er Jahren politisiert. So auch die S 21-Truppe. Sie haben gegen die Pershings demonstriert, waren in der Friedensbewegung aktiv oder kommen aus kirchlichen Initiativen. Sich zu engagieren, ist für sie selbstverständlich. »Allerdings bin ich früher keine 68erin gewesen«, sagt Hanna Maier-Gschwend nachdenklich und lächelt dann. »Ich fühle mich erst heute wie eine 68erin.«

So wie den Fünfen ergeht es vielen älteren Menschen. In Berlin-Pankow hatten Seniorinnen und Senioren monatelang eine Begegnungsstätte besetzt, um gegen die geplante Schließung zu kämpfen. Mit Erfolg. In der vorigen Woche entschied die Bezirksverordnetenversammlung, den Treffpunkt zu erhalten. Bei den Berliner Protesten gegen Fluglärm identifizierte das Göttinger Institut für Demokratieforschung jeden fünften Demonstranten als Rentner und in Spanien besetzten im Sommer Rentner das deutsche Konsulat, um gegen die EU-Sparpolitik zu protestieren.

Auch wenn der Kampf mühsam ist - die fünf S 21-Gegner wollen dabei bleiben, wenn die Gesundheit mitspielt. Weil es um die Sache geht und auch weil der Protest Freude macht. »Jedes Mal, wenn ich auf der Montagsdemo gewesen bin, fühle ich wieder neuen Elan. Das Gruppenerlebnis gibt so einen richtigen Energieschub«, sagt Hanna Maier-Gschwend, ihre Augen blitzen. Hellfried Sandig stimmt zu und ergänzt: »Da haben sich über die vergangenen zwei, drei Jahre auch viele Freundschaften entwickelt.« Inzwischen ist die Gruppe auf dem Rathausplatz in Stuttgart eingetroffen. Auch zu dieser 144. Montagsdemo sind 2000 Menschen gekommen, um ihren Unmut über den Tiefbahnhof kund zu tun. Zielstrebig gehen die fünf bis kurz vor die Bühne. »Da ist unser Treffpunkt«, sagt Hanna Maier-Gschwend und schon kommt eine ältere Dame auf sie zu, um sie zu umarmen. »Schön, dass du auch wieder da bist.«

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