Montag, 21. Juni 2010

„All diese Räume für eine Person?“

Eßlinger Zeitung 22. Juni 2010

Esslingen: Frauen aus Kenia besuchen mit Landfrauen kleine Bauernhöfe

„Erstaunt war mein Team darüber, dass es hier so viele alte Menschen gibt. Bei uns sterben die Leute früh.“ Perez Odera lächelt bedauernd. Die 60-jährige Kenianerin war eine Woche lang mit vier Landsfrauen in der Region unterwegs. Der Besuch galt dem Landfrauenverband Württemberg-Baden. Gemeinsam besuchten die Damen Brot für die Welt, die Aids-Hilfe Stuttgart, kleine Bauernhöfe, Pflegeeinrichtungen und zum Schluss auch Esslingen.

Von Gesa von Leesen

Die fünf Kenianerinnen arbeiten alle in Anti-Aids-Projekten. In dem 39-Millionen-Einwohner-Land sind nach Angaben von UNAids zwischen sieben und acht Prozent der Erwachsenen HIV-positiv. Odera ist die Chefin der Nicht-Regierungs-Organisation CISS (Community Integrated Support Service), die sich um Prävention bemüht und Erkrankten Mut machen will. „Wir ermuntern die Menschen, sich testen zu lassen. Und wenn sie tatsächlich infiziert sind, beraten wir sie in punkto ärztlicher Versorgung“, erklärt sie. Zudem gebe es Aufklärungskampagnen und sie versuchten, den Kranken zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen. „Denn viele geben sich auf, wenn sie erfahren, dass sie positiv sind. Viele begehen auch Selbstmord.“
Den Kontakt zu den baden-württembergischen Landfrauen gibt es seit fünf Jahren. Damals besuchte eine Landfrauen-Delegation die Frauen in Kenia. Die Esslinger Kreisvorsitzende Anne Marie Schuster erinnert sich noch gut daran: „Beeindruckend war die Freude darüber, dass wir sie, die Frauen, in den Dörfern besucht haben, und nicht die Männer.“ In einem anschließenden Projekt sammelten die Baden-Württembergerinnen rund 50.000 Euro für CISS-Projekte. Odera berichtet, dass man davon Ziegen für kranke Frauen gekauft hat: „Die Milch ist besonders gut für sie.“ Nun kam also der Gegenbesuch, für den ganz bewusst kleine Höfe mit Ziegen-, Kuh- und Hühnerhaltung ausgesucht worden waren. Schuster: „Diese Tiere werden auch in Kenia gehalten und die Frauen sollen ja vergleichen können.“ Und kleine Höfe habe man auch deswegen genommen, „um zu zeigen, dass auch in Deutschland nicht alles riesig und glänzend ist“.
Doch auch kleine schwäbische Höfe sind für Kenianerinnen groß, erzählt Odera. „Wir haben vielleicht einen Hektar Boden, hier sind die Flächen immer groß. Die Art, das Land zu bestellen, ist ganz anders. All die Gerätschaften und Maschinen …“ Ihre Mitreisenden seien zudem tief beeindruckt vom allgemeinen Lebensstandard gewesen: „Hier ein Zimmer, da ein Zimmer, noch ein Zimmer – und das alles für eine Person!“ Bei ihnen zu Hause gebe es zwar auch Reiche, aber „die meisten sind arm“.
Eine Erfahrung aus dem Besuch will Odera in der Heimat anwenden: „Landwirte hier haben nicht nur Kühe oder nur Getreide. Der Betrieb ist breit aufgestellt. Das wäre auch für unsere Leute wichtig. Wir haben immer nur ein Standbein, wenn da was schief geht, ist gleich alles aus dem Gleichgewicht.“
Wie die Landfrauen nach Abreise der kenianischen Kolleginnen diese weiter unterstützen wird, weiß Schuster noch nicht: „Das müssen wir im Präsidium besprechen.“ Denn um Geld für Hilfen aufzutreiben, brauche es noch Ideen. „Das letzte Mal haben wir das mit Vorträgen über unseren Besuch in Kenia eingenommen. Nun müssen wir uns etwas Neues überlegen.“
Perez Odera und ihre CISS-Kollegin Herine Kawaka werden noch eine Zeitlang in Deutschland bleiben, denn beide haben hier lebende Töchter. Die anderen drei Kenianerinnen treten morgen (Dienstag) ihre Heimreise an. Bis dahin wollen sie noch mal durch die Stuttgarter Innenstadt bummeln und Souvenirs einkaufen. Was genau weiß Odera noch nicht: „Etwas typisch Deutsches. Vielleicht das Modell einer Kirche. Ihr habt so viele schöne Kirchen.“

Turbinen für die Wasserkraft

Eßlinger Zeitung 9. Juni 2010

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Ein großer Kran transportiert die Turbine fürs Wasserkraftwerk in die vorgesehene Öffnung.



Esslingen: Kraftwerk auf dem Hechtkopf nimmt Formen an

Punkt neun Uhr treffen die Radlader aus Ungarn mit den beiden Riesenturbinen ein. Die Teile sind für das neue Wasserkraftwerk am Neckar bestimmt. Der große Kran, der die Turbinen durch die Luft in die wartenden Betonbau transportiert, steht bereit und Projektleiterin Claudia Helm beobachtet auf der Baustelle neben der Wehranlage konzentriert den Fortgang der Arbeiten. Im Frühjahr 2011 soll das EnBW-Kraftwerk den Betrieb aufnehmen und bis zu 7,1 Gigawatt Strom im Jahr erzeugen.

Von Gesa von Leesen

Am Freitagnachmittag wurde die Turbine in St. Pölten in Niederösterreich aufgeladen. Dort sitzt die Firma Kössler, eine Tochter des Voith-Konzerns, die die Turbinen gebaut hat. Montagmorgen konnte Peter Domokos mit seiner Fracht starten. „Höchstens 80 Stundenkilometer können wir fahren“, erzählt der Ungar. „Aber es hat alles gut geklappt, am Nachmittag waren wir hier.“ Sein Job ist nun erstmal beendet, Kössler-Mitarbeiter eilen herbei, um die erste der zwei angelieferten Turbinen an den Ketten des Krans zu befestigen. Nach einigem Hin und Her erhebt sich die Getrieberohrturbine in die Luft, schwenkt über die Baustelle und senkt sich langsam in Richtung der Turbinenöffnung. Helfende Hände dirigieren das Teil in die Tiefe, kurz bevor es aufsetzt, greift einer der Kössler-Männer zur Flex: Die Standstützen müssen ab. In wenigen funkensprühenden Minuten ist die Aufgabe erledigt, die Turbine kann aufsitzen.
Im Herbst soll der Bau fertig sein, erklärt EnBW-Sprecherin Maria Dehmer, nach einem Probebetrieb will man das 5,2 Millionen Euro teure Wasserkraftwerk im Frühjahr kommenden Jahres ans Netz nehmen. Der dort erzeugte Strom reiche für etwa 2000 Haushalte. Bislang werden 150.000 Haushalte mit Energie aus dem Neckar versorgt. So erhöht die EnBW nach und nach den Anteil von regenerierbarer Energie in ihrem Angebot, an Atomkraft hält man weiterhin fest.
Wenn das Kraftwerk auf den Hechtkopf, der Landzunge zwischen Landratsamt und Neckarfreibad, endlich steht, werden sich auch Fahrradfahrer und Fußgänger freuen. „wie früher wird der Weg wieder direkt am Neckar entlang gehen“, erklärt Bauingenieurin Helm. Dort, wo das Wasser aus dem Kraftwerk wieder in den Neckar geleitet wird, werde man die Schwergewichtsmauer am Ufer einschneiden und eine Brücke bauen. „Das Umfeld begrünen wir, es werden Bänke aufgestellt und von einer Art Atrium aus kann man in das Kraftwerk hineinschauen.“ Außer Schaltschränken wird es allerdings nicht viel zu sehen geben, „denn die Turbinen sind nun mal unter Wasser“. An die Fische ist auch gedacht. Die werden die Hürde über eine extra gebaute Rinne, einen Fischabstieg am Rand des Kraftwerkes nehmen können.
Um elf Uhr sitzt die erste Turbine in ihrer Fassung. „Das war sehr schnell und sehr genau“, sagt Sprecherin Dehmer zufrieden. Die zweite Turbine soll am Nachmittag eingesetzt werden. Dann kommen die Verschalungen, das Laufrad muss noch eingefügt werden. Dehmer: „Jetzt geht es zügig in die Endphase.“ Voraussichtlich End Juli kommt der Generator und dann ist das Kraftwerk schon fast fertig.

Ein gesundes Hobby

Eßlinger Zeitung vom 8. Juni 2010

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Wenn Jochem Nietzold seine Pflanzen besucht hat, überträgt er die gesammelten Beobachtungen in Ordner. Um die 400.000 Daten lagern inzwischen in seiner Wohnung.


Ostfildern-Ruit: Jochem Nietzold sammelt seit einem halben Jahrhundert Pflanzendaten

„Wenn Sie feststellen, wann bestimmte Pflanzen anfangen zu blühen, lässt sich – im Vergleich mit weiteren Daten – zum Beispiel schlussfolgern, wie sich die Vegetationsphase weiter entwickelt. Das ist unter anderem für Landwirte interessant.“ Jochem Nietzold sucht Woche für Woche bestimmte Bäume, Felder und Einzelpflanzen in Ruit auf und notiert deren Wachstumsphase. Das macht der 82-Jährige seit 54 Jahren, 44 davon für den Deutschen Wetterdienst (DWD).

Von Gesa von Leesen

Ungefähr drei Mal die Woche ist der pensionierte Lehrer unterwegs, um seine Pflanzen abzuklappern. Blattaustrieb, Blüte, Fruchtreife, Laubverfärbung, Blattfall sind nur einige Kriterien, die festgehalten werden müssen. 47 Arten stehen unter der Beobachtung für den DWD, Phänologie nennt sich diese Wissenschaft der jahreszeitlich bedingten Erscheinungsformen bei Pflanzen. Einmal im Monat schickt Nietzold die Daten an den DWD. Dazu kommen Sofortmeldungen für Allergiker. Zusätzlich erfasst der Biologe die Vegetationsstände von weiteren 867 verschiedenen Kräutern, Sträuchern und Bäumen – auch das schon seit Jahrzehnten. Um die 400.000 Daten haben sich so in zahlreichen Ordnern angesammelt. Akribisch stellt der Naturwissenschaftler daraus Reihen auf, vergleicht, berechnet Durchschnittswerte, stellt Verbindungen und Abweichungen her. Er ermittelt die Phasen des Wachstums und die von der Blüte bis zur Fruchtreife, setzt die Phasen zueinander in Verhältnis. „Wenn ich die Daten mittle, komme ich auf den Goldenen Schnitt“, berichtet Nietzold begeistert. „Ich nähere mich der Goetheschen Urpflanze!“
Dem Laien bleibt also manches unverständlich. Dass es sinnvoll ist, anhand des Pflanzenwachstums die weitere Entwicklung in der Natur zu ermitteln, leuchtet aber ein. Funktionieren kann das jedoch nur, wenn die Daten kontinuierlich gesammelt und ausgewertet werden. Sonst sind Abweichungen und Veränderungen nicht erkennbar. Neben der Landwirtschaft, die unmittelbar von den phänologischen Beobachtungen profitieren kann, sind Erkenntnisse auch für andere Bereiche denkbar. Nietzold: „Wenn Sie zum Beispiel einen Film in der Lüneburger Heide drehen wollen, möchten Sie ja wissen, wann die blüht. Dann rufen Sie in Offenbach beim DWD an. Die haben die Mittelwerte und die Jahreswerte und können daraus ableiten: Ab 25. Juli blüht die Heide.“
1955 verließ der Thüringer mit seiner Frau die DDR. Es dauerte einige Jahre bis die beiden Lehrer wieder in ihrem Beruf arbeiten konnten. Endlich klappte es für ihn mit einer Lehreranstellung in der Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart. Weil dort aber ein eklatanter Turnlehrermangel herrschte, wurde Nietzold vor allem Turnlehrer. „Mein Vater war thüringischer Zehnkampfmeister gewesen, turnen konnte ich also.“ Doch auch in Deutsch, Stenografie, Geografie und Wetterkunde stand Nietzold 35 Jahre lang vor Schulklassen. „Aber eben wenig naturwissenschaftliche Fächer.“ Diesen Mangel glich (und gleicht) der fit wirkende Rentner seit einem halben Jahrhundert durch die phänologischen Beobachtungen aus. Auch wenn er mit dem Datensammeln wahrscheinlich nie ganz aufhören können wird – die Pflicht, für den DWD loszuziehen, wird ihm langsam zu viel. Er und der Deutsche Wetterdienst würden sich freuen, wenn sich ein Nachfolger fände. Nietzold hat notier, welche Voraussetzungen der oder die mitbringen sollte: Freude an Naturbeobachtungen, Gute Kenntnisse über Pflanzen und er oder sie muss zuverlässig und gewissenhaft und sesshaft sein. Als Entschädigung für die Beobachtung und Meldung der Erkenntnisse zahlt der DWD 230 Euro im Jahr. Gut geeignet seien erfahrungsgemäß Landwirte, Gärtner, Lehrer, Mitglieder von naturkundlichen Vereinen, weiß Ekko Bruns, der beim DWD für das 1300 ehrenamtliche Mitarbeiter umfassende phänologische Beobachternetz zuständig ist. Gerade für Ruit wieder jemanden zu finden, liegt ihm sehr am Herzen: „Kein anderer hat so viele Daten erhoben wie Herr Nietzold und kein anderer lebt die Phänologie so wie er. Diese Datenreihen möchten wir sehr gerne fortgeführt wissen.“ Und Jochem Nietzold selbst ist gerne bereit, seinen Nachfolger einzuarbeiten. Vielleicht schafft auch der es dann irgendwann, wie Nietzold die Frage „Wie wird dieser Sommer?“ zu beantworten. Nietzold verweist auf einen Zwölf-Jahres-Rhythmus´, in dem 220 Jahre statistisches Material ausgewertet sind: „Danach wird der Sommer wahrscheinlich sehr wechselhaft mit extremen Temperaturschwankungen und Niederschlägen. Und dann folgt ein milder Winter.“


Kontakt:
Wer interessiert ist, in Ruit phänologische Daten für den Deutschen Wetterdienst zu sammeln, möge sich dort wenden an: Ekko Bruns, Tel. 069/80 62 20 22, oder Email: ekko.bruns@dwd.de

http://www.dwd.de

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